Seit Jahresbeginn 2022 steigen die Preise über die gesamten handelsrelevanten Wertschöpfungsketten stark an. Inflationstreiber sind Lebensmittel- und Energiepreise sowie Knappheiten angesichts gestörter Lieferketten. 2023 ist von weiteren Preissteigerungen auszugehen. In diesem Umfeld justieren die Verbraucher ihr Einkaufsverhalten neu. Dies hat massive Auswirkungen auf die Sortiments- und Preispolitik des Handels. Welche wettbewerblichen Implikationen folgen daraus?
1. Funktionierender Wettbewerb gute Nachricht für Verbraucher: In Zeiten deutlich steigender Preise ist es für die Verbraucher eine gute Nachricht, dass der Wettbewerb im Einzelhandel funktioniert und auch im Verbraucherinteresse harte Verhandlungen zwischen Lieferanten und Handel geführt werden. Dabei ist es Aufgabe der Handelsunternehmen zu verhindern, dass es über kosteninduzierte Preissteigerungen bei Rohstoffen oder Energie hinaus zu Preiserhöhungen kommt, die nicht auf besseren Produkteigenschaften beruhen. Zwar ist es wirtschaftlich nachvollziehbar, wenn gerade internationale Markenhersteller versuchen, ihre ohnehin hohe Marge zu Lasten der Verbraucher weiter zu optimieren. Eine ungerechtfertigt hohe Margenverbesserung verhindert aber glücklicherweise der intensive Wettbewerb und die daraus resultierenden harten Verhandlungen zwischen den Vertragspartnern, die manchmal auch für die Kundinnen und Kunden sichtbare Auswirkungen haben können - etwa in Form von Auslistungen, wenn der Handel sich nicht marktgerechten Forderungen entgegenstellt.
2. Wettbewerb sichert Wohlstand und Vielfalt: Grundlage unseres Wohlstands sind unternehmerische Freiheit, ein funktionierender Wettbewerb und souveräne Verbraucherentscheidungen. Der Staat setzt die Regeln und schafft Strukturen, sollte sich aber keinesfalls tiefer in Marktprozesse einmischen. Ansonsten drohen Marktverwerfungen, Ineffizienzen und Wohlstandsverluste für alle Beteiligten. Dies gilt auch in diesen besonders schwierigen Zeiten. Auf Eingriffe in die Preissetzungsfreiheit der Unternehmen sollte der Gesetzgeber verzichten, soweit kein nachgewiesener Marktmachtmissbrauch vorliegt. Preise bilden sich am Markt. Die Preisbildung ist daher zu Recht weitgehend der staatlichen Kontrolle entzogen.
3. Ordnungspolitik wichtiger denn je: Wir dürfen in der Krise unsere ordnungspolitischen Überzeugungen nicht verlieren. Intensiver Wettbewerb sorgt für günstige Preise, Angebotsvielfalt und nicht zuletzt Versorgungssicherheit. Damit leistet der Wettbewerb einen unverzichtbaren Beitrag zur Förderung der Verbraucherwohlfahrt. Dieser Wettbewerb stellt auch in Zeiten stark steigender Preise das bestmögliche Preisniveau für alle Einkommensschichten sicher. Dort, wo hohe Preise die Leistungsfähigkeit von Unternehmen wie Verbraucher überfordern, sollte der Staat mit gezielten Maßnahmen direkt beim Betroffenen gegensteuern und gerade Bezieher niedriger Einkommen entlasten.
4. Auf Kartellrecht vertrauen: Auf neue Eingriffsbefugnisse in die unternehmerische Handlungsfreiheit und Entflechtungsmöglichkeiten ohne Nachweis eines missbräuchlichen Verhaltens sowie verschuldensunabhängige Gewinnabschöpfungsansprüche ohne nachgewiesenen Unrechtsgewinn sollte der Gesetzgeber verzichten. Das bestehende Kartellrecht verhindert bereits auf effiziente Weise den Marktmachtmissbrauch. Bei Kartellrechtsverstößen kann das Bundeskartellamt schon heute hohe Bußgelder verhängen, strukturelle Maßnahmen wie Entflechtungen anordnen und rechtswidrig erzielte Gewinne abschöpfen. Der Staat darf aber nicht weitgehend willkürlich steuernd in die Wettbewerbsprozesse eingreifen. Dies gilt erst recht, wenn der Eingriff nur aufgrund bestimmter Marktstrukturen ohne konkreten Wettbewerbsverstoß erfolgt. Unternehmen mit einer marktstarken Position dürfen auch nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Wenn aus eigener Kraft gewonnene Marktstärke dazu führt, dass Unternehmen trotz rechtskonformen Verhaltens zerschlagen und Gewinne ohne Nachweis eines Rechtsverstoßes abgeschöpft werden können, erlahmt das Engagement von Unternehmen auf dem Markt, denn das Erreichen einer marktstarken Position verliert unter diesen Rahmenbedingungen an Attraktivität. Im Ergebnis wird der Wettbewerb zu Lasten der Verbraucher gedämpft.
5. Keine Eingriffe in Preiswettbewerb: Gesetzliche Mindestpreise für Lebensmittel beschränken den Preiswettbewerb und erhöhen somit tendenziell das Preisniveau zu Lasten der Verbraucher. Dies gilt auch für faktische Mindestpreise, wie sie durch kartellrechtliche Vorgaben in Form des Verbots des Verkaufs unter Einstandspreis mittelbar festgesetzt werden. Um den Preiswettbewerb zu intensivieren, den Inflationsdruck zu mindern und den Verbrauchern die verhältnismäßig günstige Beschaffung von Nahrungsmitteln zu ermöglichen, sollte daher das Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis aus dem GWB gestrichen werden. Keinesfalls darf durch weitere gesetzliche Vorgaben in die Preissetzung des Lebensmittelhandels eingegriffen werden. Auf ein Verbot des Verkaufs bzw. Einkaufs von Lebensmitteln unter Produktionskosten muss der Gesetzgeber daher unbedingt verzichten. Eine solche Bestimmung wäre besonders problematisch, weil sie die Erhöhung der Lebensmittelpreise zur Verbesserung der Ertragslage einzelner Branchen auf Kosten der Verbraucherwohlfahrt intendiert. Sie wäre nicht nur ordnungspolitisch problematisch, sondern passte auch nicht in eine Zeit steigender Belastungen der Verbraucher durch die ohnehin deutlich spürbare Teuerung.