Eine bestimmte Anzahl von rechtsicheren Sonntagen, die im Jahr für eine Ladenöffnung zur Verfügung stehen, sollte jeder Stadt und Gemeinde gesetzlich zugestanden werden. Wir brauchen endlich eine pragmatische, für alle leicht umzusetzende und unbürokratische Lösung in Niedersachsen, die unter Berücksichtigung einer grundgesetzlich geschützten Sonntagsruhe Rechtssicherheit für Handel, Kunden, Städte und Gemeinden schafft.
Viele Kommunen haben es bereits erlebt und nun ist es auch in der Einkaufsstadt Oldenburg soweit: ver.di klagt nach jahrelanger Beobachtung der städtischen Genehmigungspraxis und nach einem erfolglosen Versuch im letzten Jahr nunmehr gegen zwei von der Stadt genehmigte Sonntagsöffnungen.
Das zuständige Verwaltungsgericht muss sich mit den Fragen beschäftigen, ob ein ausreichender Anlass für eine genehmigte Sonntagsöffnung vorliegt und in welchem räumlichen Umfang eine andere genehmigte Sonntagsöffnung stattfinden kann. Eine weitere Klage von ver.di gegen einen dritten genehmigten verkaufsoffenen Sonntag wird erwartet. Drei von der Stadt Oldenburg genehmigte Sonntagsöffnungen scheinen den „Segen“ von ver.di erhalten zu haben.
Nicht zuletzt dieses Durcheinander bietet Anlass, sich noch einmal mit der weiterhin problematischen Rechtslage in Niedersachsen zu befassen.
Dazu aber zunächst noch einmal ein kurzer Rückblick: Ende 2009 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass unserem Grundgesetz entsprechend Sonn- und Feiertage in der Regel Tage der Arbeitsruhe sind und Ausnahmen davon eines ausreichenden Sachgrundes bedürfen. Das Umsatzinteresse der Einzelhändler sowie das Erwerbsinteresse der Käufer sind keine ausreichenden Sachgründe. Zur Anzahl hatte das Gericht entschieden, dass 8 flächendeckende Sonntage und 2 Sonntage mit örtlich begrenzten Ladenöffnungen (Straßenfest, Firmenjubiläum) unproblematisch seien. Von diesen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hat sich die Rechtsprechung der deutschen Verwaltungsgerichte aber immer mehr entfernt, indem sie in unzähligen Entscheidungen den sogenannten Anlassbezug für Sonntagsöffnungen entwickelt und immer weiter verschärft haben. Die dazu entwickelten Anforderungen der Verwaltungsgerichte sind mittlerweile so hoch, dass die Kommunen kaum noch rechtssichere Genehmigungen erteilen können. Sonntagsöffnungen finden deswegen vielerorts nicht mehr statt oder Genehmigungen werden unter dem Druck von Klageandrohungen der Gewerkschaft ver.di zurückgenommen.
Zurück zur Gegenwart. Auch die Novellierung der gesetzlichen Regeln für die Sonntagsöffnung in Niedersachsen 2019 hat diesbezüglich ganz und gar keine Verbesserung gebracht – aber deutlich mehr Bürokratie. So ist nun z. B. jeder „Beteiligte“ vor einer Entscheidung der Stadt bzw. Gemeinde über beantragte Sonntagsöffnungen anzuhören. Da fängt es schon an: Wer genau soll das im Einzelfall überhaupt sein? Wer ist tatsächlich ein „Beteiligter“, der vorher um seine Stellungnage gebeten werden muss? Gewerkschaften, Kirchen, Handelsverbände, Werbegemeinschaften? Aber welche Gewerkschaft? Ver.di ist in vielen Regionen im Einzelhandel so gut wie nicht (mehr) vertreten, das ist kein großes Geheimnis – sind sie trotzdem von jeder Gemeinde in jedem Fall anzuhören?
Es bleibt aber auch weiterhin bei der regelmäßigen Beschäftigung der Gerichte mit genehmigten Sonntagsöffnungen – siehe aktuell das Beispiel Oldenburg. Denn die Gewerkschaft ver.di nutzt nun mal ihre Möglichkeiten, dagegen zu klagen. Gründe der Gemeinde oder des örtlichen Handels, die für eine Sonntagsöffnung sprechen, wie z. B. der Erhalt lebendiger Innenstädte, spielen dabei für ver.di grundsätzlich keine Rolle. Eines sei an dieser Stelle zum Thema Schutz der Arbeitnehmer erwähnt: die Beschäftigten im Einzelhandel müssen wegen eines verkaufsoffenen Sonntags nicht sieben Tage in der Woche arbeiten, was der eine oder andere denken mag. Es gibt dafür in der Regel mehr als nur den entsprechenden Freizeitausgleich (wofür es zudem auch gesetzliche Regeln gibt) und viele Händler bieten eine zusätzliche Vergütung. Sonntags darf ein Geschäft im Übrigen für höchstens fünf Stunden und außerhalb der ortsüblichen Gottesdienstzeiten geöffnet werden, zudem betrifft die Arbeit an einem Sonntag die Mitarbeiter realistisch gesehen nur ein bis nur zweimal pro Jahr .
Wir haben oftmals den Eindruck, dass gegen Sonntagsöffnungen geklagt wird allein „weil man es kann“ und der Gesetzgeber das Klagen auch weiterhin so einfach macht. Aufgrund der zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe im Niedersächsisches Gesetz über Ladenöffnungs- und Verkaufszeiten (z. B. „besonderer Anlass“, „öffentliches Interesse“, „Ortsbereich“, sonstiger rechtfertigender Rechtsgrund“) gibt es quasi auf dem Präsentierteller einen bunten Blumenstrauß an möglichen Ansatzpunkten, um gegen genehmigte Sonntagsöffnungen vorzugehen. Die schlechte Formulierung des Gesetzes bietet an vielen Stellen einen sehr großen Interpretationsspielraum, den es für eine Klage nur zu nutzen gilt.
Es bleibt also leider dabei, dass die derzeitige Rechtslage dazu führt, dass in Städten wie z. B. Osnabrück (einem Oberzentrum mit über 160.000 Einwohnern) aber auch in vielen anderen Städten und Gemeinden Niedersachsens verkaufsoffene Sonntage grundsätzlich und aus schierer Verzweiflung vorsichtshalber gar nicht mehr beantragt werden. Das kann es doch nicht sein! Gerade in Zeiten des Onlinehandels ist dies ein sehr großer Wettbewerbsnachteil für den stationären Einzelhandel. Natürlich „retten“ Sonntagsöffnungen nicht den stationären Handel. Aber wir alle wissen doch, dass uns das Thema „Leerstand in den Städten“ in den kommenden Jahren weiter beschäftigen wird. Selbst in vermeintlich „sicheren“ Einkaufsstädten wie Oldenburg wird dies mehr und mehr zu einer Herausforderung. In ganz Deutschland zeigt sich die zurückgehende Einkaufsfrequenz im stationären Handel z. B. schmerzhaft im Bereich Textil. Bekleidung hat vor allem für den Handel in unseren Innenstädten eine herausragende Bedeutung. 2010 gab es bundesweit noch fast 23.000 Unternehmen mit dem Schwerpunkt Bekleidung – aktuell dürften es gerade noch 15.000 sein. Der Handelsverband Textil (BTE) spricht davon, dass jedes Jahr mehrere Hundert Modehändler aufgeben. Einer der Gründe für diese Entwicklung: 30 % des Umsatzes im Textilhandel (2019), wenn inzwischen nicht sogar mehr, werden online erwirtschaftet. Der Internethandel verzeichnet dabei vor allem am Sonntag die höchsten Umsätze, was bedeutet, dass der Onlinekunde (zu dem wir alle gehören) seinem „alltäglichen Erwerbsinteresse“ regelmäßig auch am Tag der Ruhe weiter nachgeht. Niemand würde auf die Idee kommen, Onlineshopping an einem Sonntag zu verbieten. Und niemand wird dazu gezwungen, sonntags stationär einzukaufen. Aber Fakt ist nun einmal, dass auch verkaufsoffene Sonntage in unseren Städten und Gemeinden von vielen Menschen sehr gerne in Anspruch genommen werden, denn dann haben sie die Möglichkeit und die Zeit mit Familie oder Freunden durch die Geschäfte zu bummeln und die Stadt zu erleben. Für viele Konsumenten hat sich das Einkaufen in den letzten Jahren mehr und mehr zu einer Freizeitbeschäftigung und einem Freizeitvergnügen entwickelt. Dies gilt noch einmal umso mehr für das Shopping in einem Geschäft an einem verkaufsoffenen Sonntag. Wenn dann eingekauft wird, ist dies mehr als lediglich die Fortsetzung des „alltäglichen Erwerbsinteresses“.
Klar ist: die Ladenöffnung an einem Sonntag muss einerseits unserem Grundgesetz entsprechend eine Ausnahme bleiben. Die Geschäfte an einem Sonntag öffnen zu dürfen stellt aber andererseits gerade in Zeiten des Onlinehandels bzw. des umfassenden Strukturwandels in unserer Branche ein sehr wichtiges Marketinginstrument dar. Dies gilt für den örtlichen Handel und für die jeweilige Stadt oder Gemeinde gleichermaßen, die so regional und überregional auf sich aufmerksam machen können. Lebendige Städte und Gemeinden sind auf einen funktionierenden und attraktiven örtlichen Handel angewiesen. Dies sollte der Gesetzgeber durch die Möglichkeit von rechtssicheren Sonntagsöffnungen unterstützen.